Landesruderverband Berlin e.V.

Silber nach zwei Fehlstarts und einem Bootsschaden

Am 23. Juli 2021 beginnen die Olympischen Spiele in Tokio. Karsten Finger (51), Präsident des Landesruderverbands Berlin und Vizepräsident für Leistungssport des Landessportbunds Berlin, spricht in einem Interview für SPORT IN BERLIN, Verbandszeitschrift des Landessportbunds Berlin, über seine Olympiaerinnerungen, Leistungssport und die Zukunft der Olympischen Spiele:

 

Du hast 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona Silber im Ruder-Vierer mit Steuermann gewonnen. Was ging dir auf dem Siegerpodest durch den Kopf?

 

Ich war natürlich superglücklich. Aber leider gab es gar kein Podest bei der Siegerehrung. Darüber habe ich mich geärgert. Es gab einen Siegersteg mit rotem Teppich und das war’s.

 

 

 

Warst du ein bisschen traurig, weil es nicht Gold geworden ist?

 

Ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht war das für meine Mannschaftsmitglieder anders. Klar, ich hätte auch gern gewonnen. Aber auf dem Steg war ich superglücklich. Wir haben nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen.

 

 

 

Wie groß war der Abstand zu Platz 1?

 

Nach vorn neun zehntel Sekunden zu Rumänien und nach hinten über eine Bootslänge Abstand zu den Polen – also über drei Sekunden.

 

 

 

Wie genau erinnerst du dich noch an dieses Rennen?

 

Spannend ist es, wie wir überhaupt dahin gekommen sind. Wir waren eigentlich die Aussortierten. Bernd Landvoigt hat uns zusammengesetzt, trainiert und wir haben in dem Jahr jede Regatta in Deutschland gewonnen. Für die Spiele haben wir uns erst zwei Monate vorher bei der internationalen Rotsee-Regatta in Luzern qualifiziert, wo wir Dritte wurden. Man könnte also sagen, wir haben uns bei Olympia von Platz vier auf Platz zwei vorgekämpft, da die Rumänen in Luzern nicht am Start waren.

 

Unser Olympia-Finale begann auch erstmal kurios: Es gab zwei Fehlstarts und einen Bootsschaden bei den Rumänen. Eine halbe Stunde lagen wir schon auf dem Wasser, bis das Rennen dann wirklich losging.

 

 

 

Was passierte dann auf den 2.000 Metern?

 

Bei 1.000 Metern waren alle Boote noch fast gleichauf. Wir haben dann über 20 Schläge einen Druck- und Schlagzahl-Spurt eingelegt und 110 Prozent gegeben. Dadurch haben wir uns etwas abgesetzt und uns langsam weiter nach vorn geschoben – mit den Rumänen.

 

Beim Endspurt auf den letzten 250 Metern sind wir in den Tunnel gekommen. Man rudert fast mit geschlossenen Augen. Das kann man nur ein- bis zweimal im Jahr machen.

 

 

 

Welche Zeit seid ihr gefahren?

 

Wir hatten eine Schlagzahl von 39, also 39 Schläge pro Minute – und das ist immens viel. Die genaue Zeit weiß ich aber nicht mehr. Es war knapp über 6 Minuten. Das ist beim Rudern aber nicht so wichtig. Die Zeit hängt immer von den Bedingungen ab, Temperaturen, Wassertiefe, Wind etc. Wichtig ist, dass wir eine Medaille gewonnen haben.

 

 

 

Habt ihr das gleich gefeiert?

 

Ich musste nach dem Rennen direkt zur Dopingkontrolle. Dort habe ich erstmal zwei Stunden gewartet, während die anderen sich schon umgezogen haben und anstießen.

 

 

 

Denkst du noch oft an dein Olympia-Erlebnis und erzählst du manchmal davon?

 

Ich denke oft daran und ärgere mich dann darüber, dass ich es danach nicht noch einmal zu Olympischen Spielen oder einer WM geschafft habe. Ich rede von allein nicht viel darüber. Auf das Rennen und Olympia werde ich aber öfter angesprochen. Autogrammwünsche gibt es selten, aber 20 pro Jahr sind es schon. Ich werde ab und an zu Interviews oder Gesprächsrunden eingeladen. Auch in der Zentrale der Commerzbank in Frankfurt durfte ich schon vor Führungskräften darüber sprechen, wie der Leistungssport mein Leben beeinflusst hat.

 

 

 

Wie stark hat der Erfolg dein Leben geprägt?

 

Sehr. Eine olympische Medaille ist das Höchste, was man sich als Sportler wünschen kann. Man trainiert eine Olympiade darauf hin – arbeitet konzentriert und investiert viel in dieser Zeit. Das ist nicht mit einem WM-Titel zu vergleichen. Eine Olympia-Medaille zu gewinnen, ist selten. Auch die gesellschaftliche Bedeutung ist eine andere.

 

Leistungssport beeinflusst die Persönlichkeitsstruktur sehr stark. Man setzt Aufgaben konzentrierter um, man nutzt die wenige Zeit optimal. Das überträgt sich auch auf andere Bereiche. Deshalb schaffe ich es wohl auch, meine vielen Ehrenämter mit Beruf und Familie zu vereinen. Aus dem Grund unterstütze ich auch meine Kinder enorm dabei, Leistungssport zu machen.

 

 

 

Hast du noch Kontakt zu den anderen vier, die mit dir im Boot saßen?

 

Nein. Wir waren keine Freunde, sondern eine Zweckgemeinschaft. Im Boot haben wir aber alle an einem Strang gezogen. Man muss im Team nicht Best Friends sein und kann trotzdem Erfolg haben. Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, muss man nicht immer einer Meinung sein. Man muss nur aus Streit positive Energie rausholen, um sich weiterzuentwickeln und Fehler abzustellen. Training ist eine Art Stressbewältigung. Wenn ich heute bei einer Masters-Regatta fahre, bin ich immer noch aufgeregt. Aber im Leistungssport lernt man eben, mit so einer Anspannung umzugehen.

 

 

 

Bei Olympischen Spielen kommen tausende Sportler*innen aus aller Welt in völlig unterschiedlichen Sportarten zusammen. Was ist das für ein Feeling und wie ist die Stimmung im olympischen Dorf?

 

Die Ruderwettbewerbe fanden nicht Barcelona, sondern in Banyoles statt. Wir sind erst danach ins olympische Dorf gezogen. Das Feeling dort war super. In den Mensen isst man zusammen. Man trifft viele andere Sportler. Man erlebt nicht nur die eigene Sportart, sondern kommt auch mit anderen ins Gespräch. Ich habe unter anderem die amerikanische Basketballmannschaft mit Michael Jordan und Patrick Ewing getroffen. Ich bin ja selbst mit 2.02 Meter nicht gerade klein. Aber zu Ewing mit seinen 2.13 Meter musste auch ich hochschauen.

 

 

 

 

 

Was bedeuten die Spiele für das Gastgeberland?

 

Das Konzept muss stimmen. Man muss in Sportstätten investieren. Berlin profitiert noch heute von den Investitionen, die für die Olympiabewerbung 2000 gemacht wurden. In München wurde damals ein ganzes U-Bahn-Netz gebaut und das olympische Dorf ist jetzt ein eigener Stadtteil, der Olympiapark ein renaturierter Schuttberg. Riesige Chancen also für eine Ausrichterstadt, gutes Renommee für ein Land. Viele Menschen kommen, die Geld mitbringen. Professor Wolfgang Maennig hat viele Gutachten darüber geschrieben, welchen enormen volkswirtschaftlichen Benefit sportliche Großveranstaltungen für jede Stadt und jedes Land bringen. Olympische Spiele können auch den Breitensport voranbringen. Siehe München mit der Trimm-Dich-Bewegung. Wenn es solche Konzepte gibt, können Spiele auch nachhaltig sein.

 

Ein Negativ-Beispiel ist Athen, wo viele Wettkampfstätten verfallen und nicht mehr gepflegt werden. Das ist ein Zeichen für ein nicht stimmiges Konzept.

 

 

 

Den Olympischen Spielen wird oft Gigantismus, mangelnde Nachhaltigkeit, Korruption und Verschwendung vorgeworfen. Ist das Modell Olympia noch zeitgemäß?

 

Ich sehe das auch kritisch. Ich denke, dass es einer Reform bedarf. Es ist schwierig, denn man braucht viel Geld, um so etwas zu finanzieren. Aber der kommerzielle Aspekt, dass nur das Land die Spiele bekommt, das das meiste Geld auf den Tisch legt, das kann nicht mit der olympischen Idee vereinbar sein. Die Kommerzialisierung muss zurückgedreht werden und die olympische Idee wieder mehr in den Fokus rücken: Olympische Spiele sollen frei von politischen Konflikten stattfinden und alle Nationen sollen zu friedlichen Wettkämpfen zusammenkommen.

 

 

 

Wünschst du dir, dass die Olympischen Spiele bald mal wieder in Deutschland und in Berlin stattfinden?

 

Ja, ich würde es mir wünschen. Meiner Meinung nach können sie nur in Berlin stattfinden. Andere deutsche Städte können vielleicht als Mitausrichter dabei sein. Dann könnte man sich als „Deutschland” bewerben und nicht als „Berlin”. Das wäre aus meiner Sicht nachhaltiger, als alle Wettbewerbe an einem Standort auszutragen.

 

 

 

Für die Athlet*innen ist das olympische Dorf immer etwas Besonderes. Fällt das nicht weg, wenn die Spiele an verschiedenen Orten stattfinden?

 

Ein olympisches Dorf sollte es schon geben, wo alle Sportler zusammenkommen. Austragungsorte sollten nicht zu weit auseinander liegen. Warschau wäre zum Beispiel als ein Partner für Berlin denkbar. Tel Aviv ist eigentlich zu weit weg.

 

 

 

Was bedeutet die Pandemie-Situation für die aktuellen Olympischen Spiele in Tokio? Kannst du dir Olympische Spiele ohne Publikum vorstellen? Was heißt das für die Athlet*innen, ohne Zuschauer antreten zu müssen?

 

Ich kann nur hoffen, dass die Sportler nicht vor ganz leeren Rängen ihre Wettkämpfe austragen, dass sie das Gefühl haben, angefeuert zu werden.

 

 

 

Die Bedeutung von Fans ist von Sportart zu Sportart unterschiedlich. Aber wenn man Rufe und Klatschen hört, fühlt man sich in seiner Anstrengung bestätigt. Zuschauer sind schon sehr motivierend. Deshalb animieren Athleten auch häufig die Fans Stimmung zu machen. Durch das Anfeuern der Sportler ist eine gewisse Leistungssteigerung drin.

 

 

 

 

 

Aus Berlin werden voraussichtlich rund 60 Sportlerinnen und Sportler bei Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio starten. Wie stehen ihre Chancen?

 

Ich denke, wir haben durchaus Medaillenchancen. Unser Ziel war es, 50 oder mehr Athleten nach Tokio zu schicken. Das sieht aktuell sehr gut aus.

 

 

 

Wie sieht es aus mit Berlins Olympia-Nachwuchs? Wird es auch bei den nächsten Olympischen und Paralympischen Spielen Medaillengewinner*innen aus Berlin geben?

 

Auf jeden Fall. Wir sind gut aufgestellt. Berlin ist einer der größten Olympiastützpunkte in Deutschland. Wir haben derzeit 456 Bundeskadersportler in 37 Sportarten und 19 Bundesstützpunkte. Wir wollen, dass der Berliner Olympiastützpunkt zu einem nationalen Spitzensportzentrum wird – in Zusammenarbeit mit dem Bundesleistungszentrum in Kienbaum.
Das Bundesinnenministerium sollte diese Anstrengungen aber stärker fördern, wenn deutsche Sportler mehr Medaillen erringen sollen.

 

 

 

Das Interview führten Angela Baufeld und Franziska Staupendahl

 

Hier geht es zum E-Paper von SPORT IN BERLIN mit dem Interview ab Seite 8: https://lsb-berlin.net/aktuelles/lsb-verbandszeitschrift/

 

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