Mitten drin statt nur dabei: Olympiasieger, Justizminister, Sportpolitiker- und ganz viel Rudervolk

83 mal “Quer durch Berlin” -  das ist eine imposante Zahl in der schnelllebigen Welt des Sports, die schnell über Bord wirft, was vermeintlich nicht mehr gebraucht wird. Manchmal leider auch vorschnell. Die 7 Kilometer Berliner Innenstadt messende Langstreckenregatta “Quer durch Berlin” wird offenbar gebraucht und gut angenommen - gäbe es sie sonst noch? Die Hauptstadt kennt nur wenige Sportereignisse, die älter sind. Traber-Derby, Sechstagerennen, aber dann kommt schon das Bootsspektakel zwischen der Schlosspark Charlottenburg und dem Ziel kurz vor dem Bundeskanzleramt in Tiergarten.

 

 
Um die 140 Boote, traditionell ausschließlich Vierer und Achter, hatten gemeldet, in denen 903 Teilnehmer aus neun Nationen saßen. Selbstverständlich ist Handikap-Rudern für Sportler mit Behinderung bereits seit einiger Zeit Bestandteil des Ganztagesprogrammes mit der gewohnt lässigen Unterhaltung drum herum. Für diese sorgte im Ziel wie seit Ewigkeiten die Sir Gusche Band mit Dixieland-, Blues- und Jazzklängen. 51 Jahre besteht das Sextett. “Mindestens 20 davon haben wir mit ‘Quer durch …’ verbracht”, kramte Chef Klaus “Gusche” Beyersdorf in der Erinnerung und versprach, “genau nachzusehen”.
 
 
Das Namensstudium der Bootsbesatzungen machte deutlich, dass neben der Masse in Form des guten Meldeergebnisses auch Klasse stand. Da fanden sich Olympiasieger wie Thomas Lange (Einer 1988 und 1992), Frank Klawonn (Vierer mit 1988), Medaillisten und Starter internationaler Championate wie Hans-Ulrich Schmied, Martin Weiß, Annika Weiße, Manuel Brehmer oder Vladimir Vukelic - nur einige, willkürlich herausgegriffen. 19 Rennen wurden ausgetragen, etliche in einer Vielzahl von Altersklassen. Die Vereins- und die offenen Achter am Ende fanden naturgemäß die größte Aufmerksamkeit. Doch wer sehen wollte, der konnte auch erkennen, in wie vielen der anderen Wettbewerbe mit Leidenschaft, Hingabe, Kraft und Ehrgeiz um die besten Zeiten und Ergebnisse gekämpft wurde.
 
 
 
Doch der Gegner wartete nicht nur auf dem Wasser. Denn auf einmal fegten für gefühlte 15 Minuten Stürme über die Spree und Sturzbäche regneten vom Himmel. Die Mannschaften auf der Strecke kamen nur schwer voran und an Starts war vorübergehend auch nicht zu denken. Hierzu passt das Bild vom Auskippen der Boote nach dem Anlegen: Aus den Rümpfen schwappte ein weiteres Bad für die Füße der ohnehin schon patschnassen Athleten. Der großartigen Stimmung an der Strecke, bei Aktiven, Zuschauern, dem Orga-Team und den Helfern tat das kein Abbruch. Alle waren Sieger bei dieser Regatta, bei der es nicht in erster Linie um Sieger geht! Dies dürften auch die prominenten Gäste erlebt haben, welche die Zeit auf der von LRV-Sponsor Veolia betreuten Schiffslounge zu Gesprächen und zum Staunen nutzten. Nahezu alle Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses waren mit ihren Sportpolitikern vertreten, auch die Piraten. Und stellten unisono fest, dass der Rudersport ein unverzichtbarer Bestandteil der Berliner Sportlandschaft ist.
 
 
Dies tat auch Alexander Konovalov, der im Vereinsachter aus dem russischen St. Petersburg saß, der am Ende Zweiter wurde. Er machte das quasi inkognito. Denn dass der 44-jährige seit 2008 auch russischer Justizminister ist, behielt er für sich. Er war bei einem vom LRV vermittelten Besuch und „Probetraining“ mit Berliner Mastersruderern im Berliner Ruder-Club am Rande der deutsch-russischen Regierungskonsultationen vor einem Jahr von den Gewässern der Hauptstadt so begeistert, dass er sich vornahm, mit den Sportfreunden aus dem von ihm geführten Verein auf jeden Fall wiederzukommen. Was er dann auch ohne großes Brimborium in Privatmission tat und so seine persönliche Quer-durch-Berlin-Premiere erlebte.
 
 
Der Sieg im Hauptrennen der sechs offenen Männer-Achter ging an die Renngemeinschaft RK am Wannsee/Berliner RC/RVB 1878, die mit London-Starter Anton Braun und vielen weiteren Berliner Kader-Ruderern (Richard Lorenz, Paul Habermann, Hagen Rothe, Jonas Schützeberg, Clemens Kuhnert, Paul Schröter, Bastian Bechler) von Sophie Platte nach 22:45,39 min zum 20,37-s-Vorsprung-Sieg vor der RG Kalkberge/BRC/Rotation/Pirna gesteuert wurde.
 
 
 
Erfolgreichster Verein des 83. Quer durch Berlin war der Berliner Ruder-Club, der die Punktewertung dicht gefolgt vom Ruderklub am Wannsee und dem Potsdamer RC Germania Berlin für sich entschied. Der Altersschnitt der 903 Teilnehmer (625Männer/278 Frauen) lag bei 40 Jahren, wobei der älteste Mann mit 78 und die älteste Frau mit 81 notiert wurde. Dass die Regatta mit 83 zwar numerisch als durchaus alt gelten darf, aber vom Geist her keinesfalls bejahrt, sondern höchst lebendig ist, unterstreichen die 104 Kinder und 72 Junioren A/B, die am 6. Oktober 2012 bei Wind und Wetter in die Boote stiegen. “Quer durch Berlin” wird gebraucht - am 05. Oktober 2013 findet die 84. Int. Langstreckenregatta statt.
 
Klaus Weise

Ein Video zur Veranstaltung stellte uns Carl-Friedrich Ratz zur Verfügung:http://www.youtube.com/watch?v=SNmyfjxkncI&feature=youtu.be