Landesruderverband Berlin e.V.

Interview mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen Michael Steinacker über das weiter bestehende Verbot für Kontaktsportarten und Rudern in Berlin

am .

Professor Steinacker ist Ärztlicher Leiter der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin am Universitätsklinikum Ulm und Vorsitzender der Sports Medicine Commission beim Weltruderverband FISA. Teamrudern ist in Berlin immer noch verboten, weil der Mindestabstand von 1,50 m in den Booten nicht eingehalten wird. Ist die Begründung aus Ihrer Sicht haltbar?

Der Landesruderverband Berlin hat ein Nutzungs- und Hygienekonzept vorgelegt, das die Grundlage für die Wiederaufnahme des Rudersports sein kann.

 

Aus Sicht des Landesruderverbands dürfte Rudern trotz einer baubedingten Reduzierung des Abstands in den Booten auf 1,3 m bis 1,4 m zulässig sein – insbesondere, weil der Sport im Freien ausgeübt wird. Sehen Sie das auch so?

Wir haben beim Weltruderverband FISA zwei Richtlinien herausgebracht, die sich mit der Wiederaufnahme des Trainings und der Regatten nach der Pandemie beschäftigen. Die offiziellen Dokumente der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Studienlage und das Konzept des Robert-Koch-Instituts, das auf den Erkrankungen der letzten sieben Tage beruht, sind die Grundlage dieser Richtlinien für Risikobestimmung und Schutzmaßnahmen. Die internationale Ärztekommission der FISA hat diese Richtlinien anerkannt und beschlossen. Zuvor wurden noch Virologen, Hygiene-Fachleute und Epidemiologen, u.a. der WHO und des IOC, konsultiert.

 

 

Was steht in den Richtlinien?

Es sind u. a. ruderspezifische Ableitungen getroffen worden. Diese Ableitungen werden international weitgehend akzeptiert und angewendet. Einschränkungen des Sportbetriebs sind demnach nicht notwendig, wenn das lokale Risiko niedrig ist.

 

Wird in den Richtlinien etwas zum Mindestabstand gesagt?

Die WHO-Richtlinien sehen für leichtes bis mittleres Risiko nur einen Abstand von einem Meter vor. In Deutschland gibt es in vielen Landkreisen ein niedriges Risiko.

Warum trotzdem immer noch 1,5 Meter gefordert werden, ist aus internationaler Perspektive nicht nachvollziehbar.

 

Wie groß ist die Ansteckungsgefahr durch Aerosole im Freien?

Die Frage mit den Aerosolen im Freien ist pure Spekulation – und dahinter verbirgt sich auch Angst. Sie ist ein rein theoretisches Konstrukt – was alles passieren könnte. Denn niemand hat das gemessen oder einen Beweis geführt.

Man kann zuerst auf die Studienlage verweisen: Wo passieren Infektionen? Und wo ist es nicht wahrscheinlich? Nämlich im Freien.

Infektionen mit SARS-CoV2 passieren überwiegend in geschlossenen Räumen mit schlechter Belüftung, lauten Gesprächen und Gesang ohne Einhalten des Sicherheitsabstands. Da spielen auch Aerosole eine Rolle. Also in Bars, Nachtklubs, Schlachthöfen, Bergwerken, Packbetrieben, Logistikzentren… Je nach Studie passieren 95% und mehr aller Infektionsereignisse in Innenräumen. Es gibt keinen Beweis einer Aerosol-Infektion beim Joggen, Radfahren oder Rudern.

 

Nicht nur Team-Rudern, auch Kontaktsportarten sind in Berlin noch verboten, also Judo, Karate, Tanzen. Ist dieses Verbot aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Man muss das abwägen. Wir müssen die Verbreitung des Virus verhindern. Wir dürfen aber auch den Vereinssport nicht unterschätzen. Der Sportverein animiert die Menschen – Jüngere wie Ältere, sich zu bewegen. Dies, das Sporttreiben in der Gruppe und die soziale Interaktionen stärken das Immunsystem. Das ist wichtig, um Infektionen gut bekämpfen zu können. Wo man sich sportartbedingt näherkommen muss, sind sportartspezifische Hygiene- und Abstandskonzepte notwendig, bei denen Masken eine Rolle spielen können oder eine Semi-Quarantäne.

 

Was bedeutet das?

Ich glaube, es ist kein Problem, eine Sportgruppe mit einer begrenzten Anzahl von Sportlerinnen und Sportlern zu bilden, die sich dazu verpflichten, es rechtzeitig zu melden, wenn bei ihnen oder in ihrem Umfeld eine Erkrankung vorliegt. Dann ist die Umgebung sicher und das Infektionsrisiko geht gegen Null.

 

Die Fragen stellte Angela Baufeld.

Foto: privat